Nachbeobachtungszeit, Sicherheit der Heilung
· „Bei der Behandlung chronischer Krankheiten ist man nach Beseitigung sämtlicher
vorhandenen Zeichen niemals ganz sicher, das ganze innere Siechtum ausgelöscht zu
haben.“ Deswegen sollte die Nachbeobachtungszeit mehr als 4 Jahre betragen, in der auch
kein anderes chronisches Leiden auftreten darf, wozu bei nur halber Heilung die
chronischen Krankheiten sehr geneigt sind. Ohne Symptomatik kann der Arzt jedoch, auch
bei vermuteter nur halber Heilung, nichts tun. Hier ist besondere Aufmerksamkeit nötig „um bei
dem leisesten Auftreten von Abnormitäten sogleich einschreiten zu können.“[1]
[Dem Geübten kann z.B. die chinesische Pulsdiagnose auch bei völliger Symptomenfreiheit oft Aufschluss über die derzeitige harmonische oder noch unharmonische Verteilung der Lebenskraft geben, als ein Maß für die derzeit noch vorhandene Krankheitskraft. Allerdings gibt es auch Fälle, bei denen das Pulsbild nicht die Schwere der Krankheit widerspiegelt, was dann wiederum eine schlechtere Prognose bedeutet.]
· Die antipsorische Kur sollte so lange fortgesetzt werden, „als sich noch Zeichen auffinden lassen, um die Mittel richtig zu wählen. Wer dabei auf halbem Wege stehen bleibt, der hat mit Sicherheit zu erwarten, dass das Übel im Stillen fortwuchert und bei der ersten Veranlassung, meistens mit erneuerter Heftigkeit und größerer Bösartigkeit, sein Haupt wieder erhebt.“[2] [Nicht kursive Hervorhebungen durch den Bearbeiter]
[1] KMS 274 (1840)
[2] AHP 261 (1863)
Ø Das passendste Mittel muss in ausreichend kleiner Gabe angewandt werden. Ein darauf
folgender heilender Schlaf sollte möglichst nicht unterbrochen werden.
Ø Eine beginnende Heilwirkung nach Gabe eines Similes zeigt sich bei akuten Krankheiten
innerhalb von Minuten bis längstens 24 Stunden und bei chronischen Krankheiten innerhalb
von einer bis einigen (wenigen) Wochen.
Ø Normaler Heilverlauf: Der Zustand bessert oder verschlimmert sich, ohne sich zu verändern
und umzugestalten. [Nach einer echten Erstverschlimmerung muss der Zustand im Anschluss
besser sein als vor der Verschlimmerung.]
Ø Falls nach Mittelgabe die Krankheit ohne Besserung ihren Symptomenkomplex ändert, war
das Mittel unpassend.
Ø Falls sich nach Mittelgabe in angemessener Zeit (bei natürlichen Krankheiten) keine
Symptomänderung ergibt, empfiehlt sich v.a. eine Überprüfung der Fallaufnahme, daneben
auch der Mittelwahl, der Diät und Lebensweise. Falls das Mittel trotzdem passen müsste, bei
Abwesenheit von Fehlern in Diät und Lebensweise, liegt mangelnde Rezeptivität vor. Um
diese zu steigern, können Sulf, Thuj oder Merc (je nach dem derzeit aktiven Miasma) oder
auch Op, Carb-v (besonders bei alten Leuten) oder Laur, Mosch oder Nit-ac zunächst
gegeben werden (zur Erweiterung des Mitteltableaus vgl. z.B. Boger, Synoptic Key oder Jahr,
Repertorium des Handbuches der Hauptanzeigen von 1851 „Reizlosigkeit für
Arzneiwirkungen“ oder andere).
Anschließend kann das passende Mittel in mehreren Gaben gegeben werden, bis entweder
eine homöopathische Verschlimmerung mit nachfolgender Besserung eintritt, oder bis sich
mehrere, dem Mittel eigentümliche, Symptome zum ursprünglichen Symptomenkomplex der
Krankheit hinzugesellen mit Besserung.
Falls keine Besserung eintritt, kann die neue Symptomatik als Grundlage für die Wahl eines
Folgemittels (unter Beachtung der Gesamtheit der Symptome) verwendet werden. Ein
Ausbleiben der zu erwartenden Heilwirkung nach Gabe eines sicher passenden Mittels kann
allerdings auch eine ungünstige Prognose bedeuten.
Ø Eine echte homöopathische Erstverschlimmerung ist eine sehr gute Vorbedeutung für eine
kräftige Heilwirkung und kann durch Verkleinerung der Gabe vermindert werden.
Bei chronischen Krankheiten haben einige Arzneien die Eigenschaft, im Heilverlauf, ihre
Erstwirkung (ein- oder mehrmals) wieder zu erneuern, die dann aber immer kürzer und
schwächer wird.
Ø Eine anhaltende oder sich sogar in späteren Tagen noch steigernde homöopathische
Verschlimmerung des passendsten Mittels bei chronischen Krankheiten ist ein Zeichen, dass
die Gabe viel zu groß war und dies könnte sogar für sich alleine eine Heilung gänzlich
verhindern. [Bei chronischen Krankheiten könnte dies statt dessen auch ein Zeichen von
homöopathischer Unheilbarkeit sein.]
Ø Im Heilverlauf wieder vorübergehend auftretende alte, schon bekannte Symptome sind ein
Zeichen, dass die Arznei gut passt und tief in das Wesen der Krankheit eingreift.
Das Auftreten neuer (nicht im Gange dieser Krankheit zu erwartender) Symptome, die nur der
Arznei eigen sind, ist kein Hindernis, falls diese neuen Symptome nur geringfügig sind. Sind
diese Symptome jedoch von einer lästigen Stärke, so sind sie ein Zeichen einer falschen
Mittelwahl. In diesem Fall muss das gegebene Mittel antidotiert oder ein besser passendes
Mittel gegeben werden.
Eine Verschlimmerung ohne nachfolgende Besserung, mit Hinzutritt neuer, deutlich als
Erstwirkung dieser Arznei zu erkennender Symptome, beweist die Unangemessenheit des
aktuellen Mittels (oder, dass die Gabe viel zu groß war, s.o.).
Ø Wenn sich im Heilverlauf einige Symptome bessern oder verschwinden, andere hingegen
stärker auftreten, muss das Mittel weiter gegeben werden, solange diese Veränderungen
innerhalb der Wirkungsart des gegebenen Mittels liegen. Falls die neu oder stärker
auftretenden Symptome außerhalb der Wirkungsart des aktuellen Mittels liegen, muss ein
besser passendes Folgemittel gewählt werden.
Ø Bei gefährlichen Krankheiten führt das Nichtauswirkenlassen des passenden Mittels und der
übereilte Mittelwechsel zu besonders beklagenswerten Ergebnissen. Ein rechtzeitiger
Mittelwechsel ist umgekehrt aber auch wichtig, sobald die Heilung stehen bleibt und der
Symptomenkomplex deutlich auf ein anderes Folgemittel hinweist. Die unmittelbare
Aufeinanderfolge von zu ähnlichen Mitteln kann ungünstig sein.
Ø Wenn nach anfänglicher Gabe des (sicher) am besten passenden Mittels fremdartige, nicht
zur gegebenen Arznei passende, Symptome hinzutreten (ohne vorgängige Besserung oder
sogar unter Verschlimmerung), so ist die Prognose ungünstig.
Ø Nachkrankheiten nach echten akuten Krankheiten erfordern meist andere Mittel als die akute
Krankheit.
Falls aber die akute Krankheit nur ein Auflodern einer chronischen Krankheit war, gilt dies
nicht.
Ø Die Mittelgabe sollte nach Möglichkeit nicht unmittelbar vor oder während Anfällen erfolgen.
Ø Falls im Heilverlauf die Ähnlichkeit des aktuellen Mittels nach guter Wirkung nicht mehr
gegeben ist, muss ein Folgemittel gegeben werden. Dieses Folgemittel muss aber weiterhin
innerhalb des Wirkungskreises der alten Krankheit liegen.
Ø So lange sich noch Mittel wählen lassen, sollte die antipsorische Kur fortgesetzt werden, da
bei unvollständiger Heilung sonst Rückfälle, meist mit sogar größerer Heftigkeit und
Bösartigkeit zu erwarten sind. Als Abschluss der chronischen Behandlung kann – zur
Niederhaltung der Psora – Sulf gegeben werden.